Die Geschichte der Wandertruppen in Deutschland reicht in das 17. Jahrhundert zurück. Die finanzielle Abhängigkeit führte im 18. Jahrhundert zur Konzentration auf Hoftheater, im 19. Jahrhundert auch auf städtische Theater für ein gut situiertes Bürgertum. Mit der Industrialisierung und ihren sozialen Veränderungen entstand 1890 in Berlin unter dem Motto „Die Kunst dem Volke“ die Volksbühnenbewegung. Sie gründete ab 1924 fünf Landestheater, die bis 1933 flächendeckend in Städten ohne festes Theater spielten.
Nach 1945 gründeten bis 1953 westdeutsche Kommunen und Bundesländer die heute bekannten Landesbühnen. Parallel dazu begannen ab 1951 zwei Theaterdirektoren bemerkenswerte Gastspielreisen prominent besetzter Inszenierungen ihrer festen Spielstätten: Egon Karter, Direktor des Privattheaters Komödie Basel, und Dr. Kurt Raeck, Direktor des Renaissance-Theaters Berlin, der zum Beispiel mit Heinz Rühmann und Curt Goetz auf Reisen ging. Sie gastierten vor allem in westdeutschen Ensembletheatern und zunehmend auch in Städten ohne eigenes Ensemble.
Die Nachkriegszeit hatte die Struktur vieler Städte und Regionen verändert. In großen Städten Ausgebombte schufen sich in kleineren Gemeinden einen neuen Lebensraum. Die Flüchtlinge aus Schlesien, Ostpreußen und Pommern veränderten in den westdeutschen Gemeinden zusätzlich die Zusammensetzung der ursprünglichen Bevölkerungsstruktur. In den Städten ohne eigenes Theater entstand das Bedürfnis nach neuer Lebensqualität. Gleichzeitig führten Gebietsreformen zu einem Umdenken: Es wuchsen neue urbane Zentren heran, denen bisher ungewohnte Aufgaben zufielen. In dieser Zeit wandelte sich das Schulsystem, entstanden neue kulturelle Einrichtungen. Als sichtbares Zeichen dieser Veränderungen wuchsen immer mehr Kultur- und Mehrzweckhallen aus dem ländlichen Boden.
1953 gilt mit der Gründung des „Grünen Wagens“ von Alexander E. Franke in Erlangen als das Geburtsjahr dessen, was wir seitdem Tourneetheater nennen. Zu den Ersten gehörte bald auch die „Neue Schaubühne“ von Hellmuth Duna. Traditionelle Konzertdirektionen wie Schlote (seit 1923) und Landgraf (seit 1945) vermittelten und produzierten schließlich selbst in den Bereichen Schauspiel, Tanz und Musiktheater.
Die Gründergeneration der privaten Gastspielunternehmer prägten auch Maria Becker und Will Quadflieg. Sie waren um die 40, als sie 1956 den „Tasso“ für eine Tournee vorbereiteten, die Dr. Kurt Raeck noch für sie organisierte. Was sie bewog, auf Tournee zu gehen, formulierte Will Quadflieg so: „Es gibt einen kleinen Kern ernsthafter Schauspieler, die bereit sind, sich jährlich einige Monate aus ihrem Ensemble zu lösen, und die auch ein größeres finanzielles Risiko eingehen wollen.“ Zwei Jahre später, 1958, gründete Maria Becker dann mit Robert Freitag die eigene „Schauspieltruppe Zürich“ und übernahm dafür Dr. Raecks Berliner Tourneemanager Günther Vogt.
Der wachsenden Zahl neuer Spielstätten entsprechend nahmen die Anzahl und die Vielfalt der produzierenden Tourneetheater in den 1960er Jahren zu. Unter ihnen war auch das eigenständige Basler Gastspieltheater, das Egon Karter 1965 gründete.
Am 17. August 1973 besprach Maria Becker mit zwölf Tourneetheatern in München, eine Interessengemeinschaft der deutschsprachigen Tourneetheater (IG) zu gründen. In ihr sollten die Unternehmen vereint sein, die Qualität und Zuverlässigkeit als hohes Ziel ansehen und gemeinsam gegenüber Verlegerverband, GEMA und anderen Einrichtungen zum Wohle ihrer Abnehmer faire finanzielle Bedingungen erreichen wollen.
Am 28. September 1973 kam es in München zum Beschluss. Die IG bildet seitdem eine eigene Gruppe im Internationalen Direktorenverband, der sich heute Internationaler Fachverband Show und Unterhaltungskunst e.V. (IFSU) nennt. Er vertritt sie nach außen und lässt ihnen gleichzeitig juristische Hilfe zukommen.
Sprecher der IG waren im kollegialen Status Helmut Zocher („Thespiskarren“ Hannover, 10 Jahre) und Joachim Landgraf (Konzertdirektion Landgraf in Titisee-Neustadt, 6 Jahre). 1989 wählten die Mitglieder Hartmut Kempf (Geschäftsführer der „Theatergastspiele Kempf“ München), 2006 RA Roland Voges (Hamburg), Präsident und Justitiar des IFSU.
Die Partnerschaft mit der INTHEGA, der 1980 gegründeten Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen, außerordentliches Mitglied des Deutschen Bühnenvereins, begann mit dem Abschluss eines einheitlichen Gastspielvertrages für Schauspiele. Er garantiert mit Verlagen und Künstlern vertraglich abgesicherte Angebote sowie professionelle Arbeitsabläufe bei der Durchführung der Aufführungen vor Ort .
In der Vergangenheit haben bedeutende Unternehmen der IG angehört, die heute nicht mehr bestehen und deren Gründer verstorben sind. Darunter waren die „Schauspieltruppe Zürich“ (Maria Becker), „Der grüne Wagen“ (Alexander E. Franke, später William Dieterle, Otto Ander, Jürgen Wilke, zuletzt Thomas Stroux), die „Neue Schaubühne“ (Hellmuth Duna, später Jürgen Angst), die „bühne 64“ (Jürg und später Margot Medicus), die „Schweizer Theater-Gastspiele“ (später „Scala Theater AG“, Eynar Grabowsky), das „Ernst-Deutsch-Theater-unterwegs“ (Friedrich Schütter), die „Münchner Schauspielbühne“ (Mariello Momm, Maria Caleita), die „Berliner Tournee“ (später „Theater-Produktionen Kuhnen“, Erich Kuhnen), das „Theater unterwegs“ (Dieter Henkel), das „Tourneetheater »die scene«“ (Hanns und später Hilde Kugelgruber). – Andere Mitgliedsbühnen haben aus Altersgründen ihrer Inhaber das Produzieren eingestellt wie „Das Ensemble“ (Ellen Schwiers), das „Tourneetheater Greve“ (Manfred Greve) oder die „Theatergastspiele Kempf“ (Margrit Kempf). Sie und noch weitere Mitglieder haben privatwirtschaftliches Risiko für hochrangig besetzte Produktionen getragen.
In der Gegenwart sind ausschließlich für eine Tournee erstellte Inszenierungen zu einem fast untragbaren Risiko geworden. Immer steigende Personal-, Material- und Hotelkosten, die vom Gesetzgeber vorgegebenen Ruhezeiten für Bus- und LKW-Fahrer mit enormen Zusatzkosten stoßen auf reduzierte Zahlen garantierter Buchungen mit teilweise umfangreich zu überbrückenden Terminierungslücken. Die Unternehmer sind darauf angewiesen, die Produktionskosten immer häufiger mit einem festen Theaterbetrieb zu teilen. Parallel zu den speziellen Tourneeinszenierungen gab es schon immer die Formen der Koproduktion mit festen Theatern oder der Übernahme ihrer Inszenierungen. Allmählich erweiterte sich der Kreis der Mitglieder der IG durch Privattheater, die einen ansässigen Theaterbetrieb mit einer Tourneetätigkeit kombinieren. Ein Blick auf die aktuelle Mitgliederliste gibt darüber Auskunft. Seit 2011 wird das auch in der neuen Namensnennung „Interessengemeinschaft deutschsprachiget Tournee- und Privattheater (IG)“ sichtbar.
Seit den 1990er Jahren haben sich grundlegende gesellschaftliche und finanzielle Veränderungen in den Kommunen ergeben. Das trifft auf Städte mit und ohne festes Theater zu. Weniger in der Öffentlichkeit wahrgenommen sind die Veränderungen in der Fläche. In den knapp 400 Städten ohne festes Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben bisher einige ihren Gastspielbetrieb ganz eingestellt. Aber fast alle haben die Anzahl der Veranstaltungen reduziert und die Struktur der Angebote verändert. Der Rahmen finanzieller Möglichkeiten hat sich ebenso verändert wie das Verhalten des Publikums in der rasanten Revolution der neuen sozialen Medien.
Die Spielplanangebote der Städte haben sich dabei kontinuierlich verändert. Der Anteil der Klassiker ist reduziert. Inhaltlich brisante aktuelle Themen erreichen weniger Publikum als früher, sind aber im Einzelfalle weiter gefragt. Die Reduzierung auf kleinere, finanziell günstige Formate, darunter auch Comedy und andere Zwischenformen, hat generelle inhaltliche Veränderungen in der Kulturszene der Fläche mit sich gebracht.
Die Grundidee der IG bleibt trotz dieser Veränderungen erhalten. Ihre Mitglieder vertreten gemeinsam auch die Interessen der mit ihnen zusammenarbeitenden Veranstalter gegenüber GEMA, Verlagen und anderen Institutionen. Sie setzen weiter mit ihren Angeboten im Schauspiel und im musikalischen Bereich auf einen qualitativ hohen künstlerischen Anspruch. Sie gewährleisten Vertragssicherheit ohne unbezifferte Nebenkosten sowie die vorbereitende Unterstützung und technische Abwicklung ihrer Veranstaltungen. Vertrauen in die Partnerschaft und Verlässlichkeit bei der Durchführung sind im fünften Jahrzehnt die Prinzipien der Interessengemeinschaft deutschsprachiger Tournee- und Privattheater (IG).
Dr. Dieter Hadamczik