Leitlinien

Tourneetheater sind seit 1953 ein fester Bestandteil des deutschsprachigen Theatersystems 

Agenda der Interessengemeinschaft der deutschsprachigen Tourneetheater (IG) 

Der Schlussbericht der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages benennt viele Formen des deutschen Theatersystems. Das Tourneetheater wird in dem Bericht nicht berücksichtigt. Es ist jedoch seit 1953 ein fester Bestandteil des deutschsprachigen Theatersystems. Ohne das privatwirtschaftliche Engagement der Tourneetheater und Gastspieldirektionen wären von anderen Theaterformen die zusätzlichen jährlich etwa 5.600 Aufführungen für 2,3 Millionen Besucher (statistische Erhebung für 2007/08) für die Versorgung der Städte ohne eigenes Theaterensemble nicht aufzubringen. Das sind zwei Drittel der Aufführungs- und Besucherzahlen in der Fläche. Das weitere Drittel wird durch Stadttheater, Landesbühnen, Freie Theatergruppen und Eigenproduktionen erstellt. 

1. Tourneetheater als eigene Theaterform 
Die Geschichte des Theaters kennt das Nebeneinander von Theaterzentren und Wandertheater. Derartige griechische Theaterformen, die italienischen Berufsschauspielertruppen im 16. Jahrhundert, die englischen Wandertruppen, die über den Kanal kamen, oder die besondere Heranbildung einer Schauspielkunst in den deutschen Truppen des 18. Jahrhunderts erreichten stets ein breiter gefächertes Publikum. Im angelsächsischen Raum sind prominent besetzte Tryout-Formen bekannt, ehe Produktionen am Broadway oder im Londoner Westen gezeigt werden. In Deutschland gab es vor und bald nach 1945 in den westlichen Besatzungszonen engagierte und umjubelte Gastspielreisen prominenter Schauspielerinnen und Schauspieler in Großstadtproduktionen. 

1953 entstand im deutschsprachigen Raum das System der privaten Tourneetheater, die auf volles eigenes Wirtschaftsrisiko reine Gastspielproduktionen erstellen. Ihr Ziel war von Anfang an ein Bildungsauftrag: Stücke wichtiger Autoren künstlerisch wertvoll und zugleich zeitgemäß wie publikumsnah einer nach 1945 anders strukturierten und gesellschaftlich neu geprägten Bevölkerungsschicht außerhalb der Theaterzentren zu vermitteln. Enthusiasmus und Unternehmergeist paarten sich mit dem Bestreben nach hoher künstlerischer Qualität. Die Tourneetheater vervollkommnen damit die weltweit einzigartige deutschsprachige Theaterlandschaft. 

2. Die Interessengemeinschaft (IG) 
1973 schlossen sich die damals wichtigsten und künstlerisch bewährtesten Unternehmen zur Interessengemeinschaft der deutschsprachigen Tourneetheater (IG) unter dem Dach des Internationalen Direktoren-Verbandes e.V., dem heutigen Internationalen Fachverband IFSU, Düsseldorf, zusammen. Sie versteht sich als Ansprechpartnerin und als einheitliche Vertretung gemeinsamer Interessen jenseits der Konkurrenz ihrer Mitglieder am Markt gegenüber Partnerverbänden (z.B. der KSK, Bühnenverleger, GEMA) sowie in der Behandlung juristischer, steuerlicher und bühnentechnischer Fragen. Die Mitglieder der IG tauschen sich in Tagungen und Arbeitskreisen intensiv aus. Bis heute ist jedes in diese IG aufgenommene Tourneetheater durch seinen singulär charakteristischen Stil geprägt. 

3. Partnerschaft mit der INTHEGA 
1980 begann die IG eine enge Partnerschaft mit der neu gegründeten Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen (INTHEGA). Ein einheitlicher Gastspielvertrag für Schauspielproduktionen vereinfacht die Zusammenarbeit und gewährleistet das Vertrauen zwischen den Mitgliedern der IG und der INTHEGA. Die IG nutzt die INTHEGA Kultur- und Spielplan-Journale als wichtige Kommunikationsplattform. Die Theatermärkte während der INTHEGA-Tagungen dienen der persönlichen Kontaktpflege und dem Informationsaustausch. 

4. Unterschied zu den Landesbühnen 
1953 war mit einer Ausnahme die Wiedergründung der aus den 1920er Jahren kommenden öffentlich subventionierten Landesbühnen abgeschlossen. Sie bilden mit festen Ensembles eine eigene Gruppe im Deutschen Bühnenverein. Ihre Aufgabe besteht darin, etwa die Hälfte der an einem festen Sitzort produzierten Aufführungen auch in der umliegenden Region abzusetzen. 

Die im Anschluss daran gegründeten privaten Tourneetheater agieren ohne einen festen Sitzort, ohne abgesicherte Zuwendungen bundesweit und international. Ihre Flexibilität ermöglicht es, Besetzungen mit bekannten Protagonisten und typgenauen Besetzungen in gezielt stückgerechten Ensembles zusammenzustellen und jeder Produktion durch Spezialisten in Regie, musikalischer Leitung und Bühnenbild eine eigene Note zu geben. Ein schlankes und persönlich ambitioniertes Management spart Organisations- und Verwaltungskosten. 

5. Leistungen der Tourneetheater 
Tourneetheater erfüllen den Bildungsauftrag mit hohen Ansprüchen in klassischer und in einer dem Zeitgeist entsprechenden Form sowohl in der Textvermittlung als auch in der künstlerischen Umsetzung. 

Tourneetheater bringen dem Großstadttheater ebenbürtige Angebote mit einem hohen prozentualen Anteil zeitgenössischer Stücke in die Fläche. Ausgenommen sind die allein mit Risikosubventionen möglichen Experimente noch unerprobter neuer Theaterformen, die nur in den Theaterzentren ihr Publikum finden. Davon abgesehen wurden der Austausch zwischen Stadt und Land vermehrt, die Trennungen verringert. Die Synergien sind stärker als je zuvor. 

Tourneetheater bieten weitgehende Unterstützung in Form von umfänglichem szenischem Material, Begleitliteratur, Begleittexten, Interviews, DVD-Ausschnitten für TV-Werbung, Kritikenspiegel und neuestens auch mit Einführungen vor einer Vorstellung am Spielort. 

Die Mitglieder der Interessengemeinschaft der deutschsprachigen Tourneetheater (IG) garantieren mit hohem unternehmerischem Risiko eine Unterstützung der örtlichen Kulturveranstalter, trotz des zwar regional unterschiedlichen, jedoch insgesamt eingetretenen deutlichen Rückgangs öffentlicher Mittel weiterhin Qualitätsarbeit auf der Bühne anbieten zu können. Das ist nur solange möglich, als die kommunale Kulturpolitik diese besonderen Leistungen unterstützt und sich mit den im Wettbewerb knapp kalkulierten Festhonoraren an den Produktionskosten beteiligt. Das Risiko der oftmals im Voraus kaum noch überschaubaren Sach- und Reisekosten muss zusätzlich von den Unternehmen getragen werden. Nur mit dem Willen zu verlässlichen Investitionen kann eine Kommune ihren Standortfaktor für Gemeinwohl und Gewerbeansiedlung in Form der Einnahmen verschaffenden Umwegrentabilität sichern. 

Tourneetheater haben neben anderen Theaterformen einen statistisch belegten hohen Anteil an der Kulturvermittlung in der Fläche.